Runtastic richtet sich an einzelne Subjekte, die Selbsterkenntnis durch Zahlen erlangen wollen und versucht diese zu aktiveren auf der Plattform tätig zu werden. Das Selbst, das von der Plattform angerufen wird, ist ausgesprochen singulär, orientiert an Effizienz, Leistung, persönlicher Entwicklung, Verbesserung und Optimierung.1 Die Plattform möchte die Akteure in ihrem Werden unterstützen: „Get the body you want now“, lautet eine Anrufung, "erreiche deine Ziele" eine andere. Die Premium-Version fordert die Akteure sogar auf: "Schöpfe dein volles Potenzial aus".2 In diesem Sinne ruft die Plattform die Akteure zur autonomen Selbst-Formung und Selbst-Gestaltung auf und verspricht, sie dabei zu unterstützen. Im Kontrast dazu operiert die Selbstdarstellung der Plattform im Duktus einer Gemeinschaft: Die Plattform stellt sich als Interessensgemeinschaft, Daten-Crowd, Partner oder Coach dar, ohne dabei den Anspruch zu erheben, einer traditionalen oder posttraditionalen Gemeinschaft3,4 ähnlich zu sein; sie verspricht weder eine Distinktionsmöglichkeit durch Mitgliedschaft noch eine gemeinsame Kultur und letztlich auch keine Reziprozität, keine Solidarität oder exklusive Zugehörigkeit. Stattdessen betont die Plattform in erster Linie, wie die Sozialität, die sie ermöglicht, das einzelne Individuum bei seiner Selbst-Werdung unterstützt. Potenzielle Mitglieder werden nicht so sehr durch Aussicht auf kollektive Erfahrungen oder Mitbestimmung angeworben, sondern durch die Möglichkeit sich als singuläres Selbst autonom zu gestalten. Wir nennen diese Strategie „Crowd-Vergemeinschaftung“:5 Die Plattform zielt nicht darauf ab, eine Gemeinschaft zu versammeln, die etwa ihre gemeinsamen Interessen organisieren könnte, sondern auf die Konstitution einer Crowd von Einzelakteuren, die durch Subjektivierung Daten produzieren. Die Anrufungen der Plattform bestehen dementsprechend aus bestimmten Aspekten von Vergemeinschaftung einerseits und Quantified-Self-Subjektivitäten andererseits. Den Subjekten wird dabei versprochen, dass sie Verfügungsgewalt über die autonome Gestaltung und Formung ihres körperlichen Selbst erlangen, insofern sie sich der Crowd-Gemeinschaft der Plattform anschließen. Dazu müssen sie selbst aktiv werden und sich an der Plattform beteiligen.
Wir haben hierzu im Frühjahr 2018 eine Analyse der semantischen und visuellen Anrufungsformen der Plattform durchgeführt. Zu beachten ist, dass auch wenn die Plattform eben jene Subjekte anruft, dies nicht bedeutet, dass auch nur eben jene die Plattform nutzen. Die angerufene Zielgruppe und die letztlich tatsächlichen Nutzer:innen müssen nicht völlig übereinstimmen.
2
www.runtastic.com [Stand: 16.08.2018].
3
Hitzler, Ronald; Honer, Anne; Pfadenhauer, Michaela (2009): Posttraditionale Gemeinschaften. Theoretische und ethnographische Erkundungen. Wiesbaden: Springer VS.
4
Lamla, Jörn (2009): Markt-Vergemeinschaftung im Internet. Das Fallbeispiel einer Shopping- und Meinungsplattform. In: Hitzler, Ronald; Honer, Anne; Pfadenhauer, Michaela (Hg.): Posttraditionale Gemeinschaften. Theoretische und ethnographische Erkundungen. Wiesbaden: Springer VS, S. 170–185.
5
Ochs, Carsten; Büttner, Barbara (2019): Selbstbestimmte Selbst-Bestimmung? Wie digitale Subjektivierungspraktiken objektivierte Datensubjekte hervorbringen. In: Ochs, Carsten; Friedewald, Michael; Hess, Thomas; Lamla, Jörn (Hg.): Die Zukunft der Datenökonomie: Zwischen Geschäftsmodell, Kollektivgut und Verbraucherschutz. Wiesbaden: Springer VS, S. 181-214.